20. Juni 2018
Unterstützung durch die Schwerbehindertenvertretung
„Ohne die SBV wäre es nicht gegangen“
Kolleginnen und Kollegen der SBV leisten einen wichtigen Beitrag zur Inklusion behinderter und beeinträchtigter Beschäftigten im Betrieb. Zwei Menschen mit Behinderungen berichten von ihrem Schicksal und wie ihnen die SBV geholfen hat.

Thilo

Der Tag, der das Leben von Thilo von eine auf die andere Sekunde für immer verändert, der Tag, seitdem nichts mehr so ist, wie es bis dahin war, ist ein Dienstag im März. Es ist kurz nach 18 Uhr, draußen ist es noch hell. Thilo, damals 17 Jahre alt, ist mit seinem Motorrad auf dem Weg nach Haus – dann, an einer Kreuzung, passiert es: Ein Autofahrer, der links abbiegen will, übersieht ihn, nimmt ihm die Vorfahrt. „Er ist einfach losgefahren“, sagt Thilo. Rettungskräfte sind schnell vor Ort, Thilo wird in einen Krankenwagen geladen, auf der Fahrt bekommt er starke Schmerzmittel, im Krankenhaus wird er operiert.

Als er aufwacht, fühlt er sich schwach, schmerzt sein Bein, aber zum Chefarzt sagt Thilo, dass er am Freitag zur Arbeit müsse. An dem Tag gebe es einen wichtigen Termin. Ein halbes Jahr zuvor, im September 2010, hatte Thilo seine Ausbildung als Mechatroniker beim Daimler-Werk in Berlin-Marienfelde angefangen. Als er nach der Operation aufwacht, ahnt er nicht, dass er nicht zu dem Termin an seiner Ausbildungsstelle wird gehen können. Dass er erst ganz am Anfang eines langen, schmerzhaften Weges steht.


Viel Zeit verging

Bis heute, sieben Jahre nach dem Unfall, hat der 24-Jährige zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen müssen, er lag, zählt man alle Zeiten zusammen, knapp sieben Monate im Krankenhaus, war ein halbes Jahr lang in Reha-Behandlung, insgesamt ist er dreieinhalb Jahre arbeitsunfähig. „Ich hatte am Anfang nicht realisiert, wie krass das ist, was mit mir geschehen ist. Aber nach und nach merkte ich, dass ich in meine Ausbildung nicht einfach wieder einsteigen konnte.“ Die Wochen verstreichen, die Monate verstreichen, ohne dass Thilo zurück zu seiner Ausbildungsstelle als Mechatroniker kann. Im Februar 2014 ist die reguläre Ausbildungszeit um. „Dass ich heute bei Daimler als Zerspanungsmechaniker arbeite, habe ich auch dem großen Einsatz von Manuela Enslen, der Schwerbehindertenvertretung zu verdanken.“

Manuela Enslen, die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen am Daimler-Standort Marienfelde, rät Thilo nach dem Ende des Ausbildungsverhältnisses sich erneut bei Daimler zu bewerben jedoch für eine andere, für ihn besser geeignete Ausbildung als Zerspanungsmechaniker ― denn da entfällt die Maschineninstandhaltung. Thilo muss nicht knien und nicht hocken, da er dies nach dem Unfall auch nicht mehr kann.


Eine neue Ausbilungsstelle

Die SBV muss bei jedem schwerbehinderten Bewerber in das Auswahlverfahren mit einbezogen werden. Manuela Enslen macht sich für Thilo stark. Mit Erfolg: Thilo bekommt einen neuen Ausbildungsvertrag. Im Herbst 2014 beginnt Thilo die Ausbildung. Die SBV und sein Ausbildungsmeister sorgen dafür, dass er spezielle, maßangefertigte Sicherheitsschuhe bekommt. Ende Januar diesen Jahres schließt Thilo erfolgreich seine Ausbildung ab, anschließend bekommt er einen unbefristeten Übernahmevertrag. Heute arbeitet Thilo in der Kleinserienfertigung für Ölpumpen. Auch dort wird er unterstützt. Es wird darauf geachtet, dass er nicht länger als die Hälfte des Arbeitstages steht. Dazu wurde ihm extra eine Sitzstehhilfe bestellt.

Der Tag im März vor jetzt sieben Jahren hat Thilos Leben mit einem Schlag verändert. Mit den Schmerzen, mit den motorischen Einschränkungen muss er seither leben, das gelingt nicht alle Tage gleich gut. „Ich bin froh und dankbar, dass ich bei Daimler nochmal eine Ausbildung beginnen durfte und nun einen sicheren Arbeitsplatz habe“, sagt Thilo.


Carsten Kremling

Er kann sich noch an seinen Schreck beim Aufwachen erinnern ― die Sekunde, in der, im Nebel des Halbschlafs, plötzlich die Gewissheit da ist: Ich kann meine rechte Körperseite nicht mehr bewegen. Ich habe kein Gefühl in meinem Arm, in meinem Bein. „Das war brutal“, sagt Carsten Kremling jetzt, neun Jahre nach jenem Morgen, der alles veränderte, der ein Einschnitt ist, eine Zäsur. Carsten kommt ins Krankenhaus, die Ärzte vermuten einen Schlaganfall, aber das ist es nicht: Carsten Kremling, damals 42 Jahre, bekommt eine andere Diagnose: Er leidet an Multipler Sklerose, eine Nervenkrankheit, die nicht heilbar ist, die in Schüben kommt, deren Krankheitsverlauf nicht vorhersehbar ist. „Natürlich ist das belastend“, sagt Carsten Kremling. „Genau deshalb ist mir ein intaktes Arbeitsumfeld so wichtig.“

In seinem Betrieb, der Ilsenburger Grobblech, hat Carsten Kremling das gefunden: Feste Strukturen, die ihm Halt geben. Ein Arbeitsumfeld, das auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Vorangetrieben und mit ermöglicht hat das Olaf Schmiedeck, die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen am Standort. „Ohne das Engagement der SBV wäre es nicht gegangen.“


Optimales Eingliederungsmanagement

Und es ist viel gegangen. Einige Monate vor dem Ausbruch der Krankheit, Ende 2008, schließt Carsten Kremlings alter Betrieb, die Ilsenburger Maschinenbau, wo er in der Instandhaltung gearbeitet hat. Carsten wechselt im Januar 2009 als Leiharbeiter zu Ilsenburger Grobblech. Zuerst wird er in der Werkstoffprüfung eingesetzt, später arbeitet er in der Brennerei. Im Mai 2012 wird er fest übernommen. Das ist ein wichtiger Schritt, jetzt gibt es langfristige Sicherheit. Und jetzt setzt sich die SBV nochmals verstärkt dafür ein, die Belastungen, denen Carsten ausgesetzt ist, zu reduzieren, ein Arbeitsumfeld zu gestalten, das auf seine Bedürfnisse angepasst ist. „Die Kolleginnen und Kollegen haben sich dafür stark gemacht, dass ich aus dem 5-Schicht-Betrieb rauskomme“, sagt Carsten. „Vor allem die Nachtschichten haben mich stark belastet, das hätte ich auf Dauer nicht durchgestanden.“

Carsten kommt aus der Brennerei raus, die Arbeit dort ist zu anstrengend. Zwar schlagen die Medikamente, die Carsten nimmt, gut an, immer wieder aber ist er auch längere Zeit krank. Seit zwei Jahren arbeitet Carsten nun als Palettenfahrer in der Versandabteilung, er wechselt zwischen Früh- und Spätschicht, das schafft er körperlich gut. „Die SBV hat mich all die Jahre gut unterstützt, sie war bei allen Gesprächen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement dabei. Das hat mir sehr geholfen.“


Eintritt in die SBV

Mittlerweile engagiert sich Carsten selbst in der SBV. Seit 2014 ist er Stellvertreter im SBV-Gremium, von den 700 Beschäftigten am Standort gibt es 53 schwerbehinderte Kolleginnen und Kollegen, um die sie sich kümmern. Gerade sind sie dabei, für eine Kollegin, die stark an Rheuma erkrankt ist, eine Homeoffice-Regelung zu verhandeln, die es ihr ermöglicht, an mindestens zwei Tagen in der Woche von daheim aus zu arbeiten. „Wir sind optimistisch, dass wir das hinbekommen, wir setzen unsere ganze Kraft ein“, sagt Carsten, sein Engagement ist ihm eine Herzensangelegenheit: „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, dass die Kolleginnen und Kollegen eine starke SBV im Betrieb haben.“


Gleichstellung und Integration - Inklusion

    Aus den Betrieben

    Link zum Artikel